Sollten wir unsere Werbung anpassen?

Veröffentlicht AM 07 04 2020

Artikel Lucas Hulsebos – CEO

Viele Werbetreibende nutzen die momentane COVID-19-Situation, um ein aktuelles Bedürfnis anzusprechen oder der Gesellschaft gegenüber Sympathie zu zeigen. Viele Experten haben sich gegenüber diesen Werbungen geäußert. Einige von ihnen sind der Meinung, dass die aktuelle Dynamik genutzt und ein Engagement für die Gesellschaft gezeigt werden sollte. Auch die Verbraucher sind der Meinung, dass Werbetreibende weniger werben und ihre Kommunikation ändern bzw. der aktuellen Situation anpassen sollten. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, testete DVJ über hundert TV-Werbespots und Online-Video-Werbung auf drei Märkten. Wir haben aktuelle Werbungen analysiert (Werbungen, die die Corona-Krise ansprechen) und mit „normalen“ Werbungen verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Berücksichtigung der aktuellen Situation ein Weg sein könnte, um mehr Aufmerksamkeit zu generieren und um relevanter zu werden. Die Wirkung auf die Marke ist jedoch nicht unbedingt erhöht, da viele Werbetreibende nicht in der Lage sind, die neuen Corona-Inhalte gut genug mit den bestehenden Erinnerungsstrukturen zu verknüpfen. Wir schließen daraus, dass Möglichkeiten oder Chancen vorhanden sind, jedoch die meisten Werbetreibenden nicht in der Lage, diese optimal zu nutzen.

WARUM DIE WERBUNG VERÄNDERN?

In der Studie von DVJ zu den Auswirkungen der Corona-Krise haben wir den Verbrauchern die Frage gestellt, ob die Werbetreibenden sich mit der aktuellen Situation befassen und ihre Werbung ändern sollten. Mehr als zwei Drittel der Verbraucher sind der Meinung, dass die Werbetreibenden ihre Werbung ändern sollten. In Großbritannien ist diese Meinung sogar noch stärker ausgeprägt als auf den anderen beiden Märkten. Wenn wir die Verbraucher fragen, was Werbetreibende tun sollten, dann sind sie der Meinung, dass Werbetreibende weniger Werbung schalten sollten: „Seien Sie bescheiden und lenken Sie nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich selbst“. Genau dies ist auch die Empfehlung von Mark Ritson. In seinem letzten Webinar darüber, wie Marken mit der COVID-19-Situation umgehen sollten lautete sein Rat: „Es ist besser nichts zu unternehmen, als Ihre Werbung oder Ihre Art der Kommunikation zu verändern“.

Abbildung 1

Der Grundgedanke dahinter ist, dass das Interesse an Corona-bezogenen Nachrichten schnell verblasst. Daher sei es besser, sich auf die traditionellen Muster und Erinnerungsstrukturen zu verlassen, die die Menschen bereits haben. Eine interessante Grafik hängt mit der Anzahl der Suchen bei Google für das Wort Corona zusammen. Wie wir in der Grafik sehen, ist das Suchvolumen von dem Wort „Corona“ in den ersten Wochen rasch gestiegen, nimmt nun jedoch allmählich ab. Die Menschen wissen jetzt, was sie wissen müssen, und beginnen wieder, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Die gleichen Muster sehen wir beim Fernsehen oder beim Surfen im Internet. Zuerst suchten die Menschen nach mehr Informationen, jetzt kehren sie jedoch zu der „normalen Situation“ vor Beginn der Krise zurück.

Abbildung 2

Viele Werbetreibende ziehen sich während dieser Krise zurück, da ihre physischen Standorte geschlossen sind oder sie aus einem anderen Grund nicht mehr Werbung schalten. Andere zeigen Leidenschaft und Engagement und haben bereits in den ersten Wochen dieser Krise ihre Werbung geändert und begonnen, COVID-19-bezogene Werbespots im Fernsehen und im Internet zu schalten.

DIE DVJ-STUDIE ÜBER CORONA-BEZOGENE WERBUNGEN

Um die Auswirkungen besser zu verstehen und um einige klare Empfehlungen geben zu können, ob sich die Werbetreibenden mit der aktuellen Situation auseinandersetzen sollten oder nicht, hat DVJ über 100 verschiedene Werbungen auf drei Märkten getestet, um die Dynamik hinter der Werbung in Krisenzeiten besser zu verstehen. Wir haben die folgenden Bedingungen für Fernseh- und Online-Video-Werbungen getestet:

  • Werbungen, die wir zuvor getestet haben und die nicht auf die aktuelle Situation eingehen: Wir wollten verstehen, ob die aktuelle Situation die Wahrnehmung dieser Werbungen verändert hat.
  • Regelmäßige Werbungen, die nicht auf Corona eingehen oder Corona erwähnen und auf „normale“ Weise zum Aufbau der Marke verwendet werden.
  • Werbungen, die speziell für die aktuelle Situation entworfen und erstellt worden sind. Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden diese Werbungen als „Corona-Werbungen“ bezeichnet.

Das Testmodell von DVJ besteht aus einer einzigartigen Kombination von Verhaltensregistrierung mit impliziten und expliziten Fragetechniken, die es ermöglicht, verschiedene Werbedimensionen zu betrachten. In diesem Artikel haben wir einige KPIs ausgewählt, die für ein besseres Verständnis der Wirkung von Corona-Werbung wichtig sind. Diese sind:

  • Die Bereitschaft, zuzuschauen: Wir messen die Bereitschaft zum Zuschauen, indem wir die Werbespots der Kampagne in einen realistischen Kontext mit anderen Werbespots innerhalb desselben ‚Umfelds‘ stellen. Wir geben den Befragten die Möglichkeit zu entscheiden, wie lange sie bereit sind, jedem einzelnen Werbespot Aufmerksamkeit zu schenken. Mit echtem, anstatt erzwungenem Verhalten registrieren wir genau, wie viel Aufmerksamkeit eine Anzeige erhält.
  • Die Wirkung der Werbung: Die Wirkung einer Werbung wird gemessen, indem festgestellt wird, wie sehr sich die Menschen nach einer normalen Exposition und basierend auf normalem Verhalten an die Marke und die Botschaft erinnern können. Dies hat einen hohen prädiktiven Wert, da wir keine erzwungene Exposition verwenden (eine erzwungene Exposition hätte aufgrund der Vermeidung von Werbung zu irreführenden Ergebnissen geführt).
  • Die Werbungsdiagnostik: Wir verwenden verschiedene diagnostische Instrumente wie freie Assoziationen, Evaluations- und Aktivierungsaussagen, um die Unterschiede in der Wirkung besser zu verstehen.

Wir vergleichen die Ergebnisse mit unserer Benchmark, bei dem wir uns auf die stärksten 20% konzentrieren. Dies tun wir, da wir festgestellt haben, dass durchschnittliche Ergebnisse nur zu einer begrenzten Wirkung auf dem Markt führen.

HAT DIE AKTUELLE SITUATION AUSWIRKUNGEN AUF „NORMALE“ WERBUNG?

Die erste wichtige Frage bezieht sich auf die Performance der bestehenden Werbung. Sollten die Werbetreibenden die Werbung, die sie in der Vergangenheit verwendet haben, weiterhin nutzen? Aus diesem Grund haben wir erneut eine Reihe von Werbungen getestet. In den Grafiken 2 und 3 haben wir die Relevanz und die Markenwirkung dieser Werbungen unter beiden Bedingungen (vor der Corona-Krise und während der Corona-Krise) dargestellt. Wir sehen, dass sich die meisten Werbungen rechts von der Diagonale anhäufen, was bedeutet, dass während der Korona-Krise die Markenwirkung und die Relevanz höher sind. Das bedeutet, dass Werbungen, die in der Vergangenheit eingesetzt wurden, immer noch dieselbe oder sogar eine noch größere Wirkung und Relevanz haben als zuvor. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit Mark Ritsons Empfehlung, weiterhin dieselben Werbungen zur Förderung von Marke und Produkt zu verwenden.

Abbildung 3

Abbildung 4

ERZEUGT CORONA-WERBUNG MEHR AUFMERKSAMKEIT?

Ein Grund für die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation ist es, mehr Aufmerksamkeit oder Engagement zu erzeugen. Wenn ein bestimmtes Thema viel Aufmerksamkeit erzeugt, kann man erwarten, dass Werbungen, die das gleiche Thema ansprechen, auch mehr Aufmerksamkeit erhalten. Wie wir wissen, sind Engagement und Aufmerksamkeit extrem wichtig, um aus diesem Durcheinander hervorzustechen. Eine der Lehren aus dem Ehrenberg-Bass-Institut ist, dass eine Menge Werbegelder verschwendet werden, weil Menschen die Werbung gar nicht erst bemerken. Es gibt eine Menge Werbung zu sehen, und nur wenige erhalten die volle Aufmerksamkeit und heben sich ab. In der Tabelle haben wir den Grad der Aufmerksamkeit von Corona-Werbungen gegenüber den „normalen“ Werbungen für TVCs und Online-Videos indexiert.

Die Ergebnisse sind bemerkenswert: Die TVC-Werbespots, die die Corona-Situation ansprechen, erzeugen mehr Aufmerksamkeit als normale Werbespots. Die Bereitschaft sich diese Werbung anzusehen ist um 7% erhöht. Bei den Online-Videos sehen wir jedoch das Gegenteil. Es scheint schwieriger zu sein, die Corona-Situation zu nutzen, um online mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der wichtigste Grund ist, dass die Menschen online allgemein weniger bereit sind Werbung Aufmerksamkeit zu schenken. Um zu erkennen, dass die Werbung sich auf eine bestimmte Situation bezieht und die Art und Weise, wie sie mit der Marke verknüpft ist, braucht Zeit. Zeit, die man normalerweise für ein Online-Video-Werbespot weniger bereit ist zu geben als für einen TV-Spot. Deshalb sollten entweder bessere Videos gemacht werden oder Formate verwendet werden, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers etwas mehr erzwingen.

GESAMTBEWERTUNG VON CORONA-BEZOGENENER TV-WERBUNG

Um die Bewertung der Corona-bezogenen Werbungen besser zu verstehen, haben wir auch eine Reihe von Fragen gestellt, die sich auf die Werbungen selbst beziehen. In der folgenden Tabelle haben wir die Relevanz und die allgemeine Sympathie dargestellt. Wir haben die Ergebnisse der „Corona-Werbungen“ erneut mit „normalen“ Werbungen indexiert.

Auf der Grundlage dieser Fragen sehen wir große Unterschiede. Im Allgemeinen werden Corona-Werbungen als ansprechender und relevanter als „normale“ Werbungen wahrgenommen. Dies steht im Einklang mit dem DVJ COVID-19 Report, in dem die Verbraucher angaben, dass sie der Meinung sind, dass die Werbetreibenden ihre Werbungen anpassen sollten. Dadurch wird die Werbung ansprechender und relevanter als „normale“ Werbungen. Wir haben auch untersucht, ob die Corona-Werbungen das Image der Marke beeinflussen. In der nachstehenden Tabelle haben wir die Ergebnisse mit den Ergebnissen der „normalen“ Werbungen indexiert.

Hier sehen wir, dass die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in der Werbung auch zu einer besseren Performance hinsichtlich der Auswirkungen auf die Einstellung der Verbraucher führt. Sie steigert den positiveren Eindruck der Marke und führt zu einem stärkeren Interesse an dieser. Diese Ergebnisse sind nicht unerwartet, denn wir haben in früheren Untersuchungen gesehen, dass Werbetreibende, wenn sie in der Lage sind die aktuelle Stimmung der Verbraucher zu erkennen, einen besseren Markeindruck erzeugen können. Wichtig zu erkennen ist jedoch die Tatsache, dass das COVID-19-Thema mit der Zeit an Aufmerksamkeit verliert. Daher empfehlen wir den Werbetreibenden, dass sie die aktuelle Krise für ihre Werbung nutzen, jedoch müssen sie sich des abnehmenden Interesses an dem Thema bewusst sein. Irgendwann könnte die Nutzung der Corona-Krise nicht mehr relevant sein, und es würden Produktionskosten verschwendet werden.

IST CORONA-WERBUNG WIRKUNGSVOLLER?

Die wichtigste Frage bezieht sich auf die Wirkung der Werbung und der Marke und ob die Botschaft die Verbraucher erreicht und im Gedächtnis bleibt. Dies wird gemessen, indem man eine natürliche Umgebung nutzt und den Menschen die Möglichkeit gibt, ihr normales Verhalten zu zeigen. In der untenstehenden Tabelle haben wir die Leistung von Corona-Werbungen im Vergleich zu normalen Werbungen indexiert, und wir haben uns auch die Werbung angesehen, die am besten bzw. am schlechtesten abschneidet. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Erinnerung an die Marke und die Botschaft stark mit der Wirkung auf dem Markt zusammenhängt und so hoch wie möglich sein sollte. Nur Werbung, die sich in den Top 20% befindet, ist in der Lage auf dem Markt herauszustechen.

Auf der Grundlage dieser Ergebnisse sehen wir, dass die Wirkung von Corona-TV-Werbungen mehr oder weniger die gleiche ist wie bei „normalen“ Werbespots. Trotz der Tatsache, dass die Werbungen mehr Aufmerksamkeit erzeugen und dass die Menschen positiver sind, nachdem sie die Werbespots vollständig gesehen haben, haben sie eine ähnliche Wirkung auf die Erinnerung an die Marke und die Botschaft wie normale Werbungen. Bei Online-Video-Werbungen sehen wir sogar, dass Corona-Werbungen weniger effektiv sind. Die überraschenden Ergebnisse liegen jedoch nicht in dem Unterschied zwischen Corona-Werbungen und regulären Werbungen. Die größten Unterschiede bestehen zwischen den Werbungen mit guter und schlechter Leistung. Im Bereich der getesteten Corona-Werbungen sehen wir große Unterschiede. Die besten Corona-Werbungen erzeugen fünfmal so viel Markenwirkung wie die schlechtesten Werbungen. Dies lehrt uns Folgendes: Es ist nicht einfach, die aktuelle Situation auf eine gute Art und Weise anzugehen. Man kann den Nagel auf den Kopf treffen, aber man kann ihn auch völlig verfehlen. Das bedeutet, dass Sie entweder Ihre bestehende Werbung während dieser Krise weiter verwenden sollten – oder sicherstellen müssen, dass die auf die aktuelle Situation bezogenen Werbungen auf die bestmögliche Weise den Konsumenten ansprechen, damit Ihre Kampagne Wirkung zeigt.

Auch hier lohnt es sich wieder einen Blick auf Mark Ritson zu werfen, wenn man die Unterschiede in der Wirkung besser verstehen möchte. Er beschreibt einige Beispiele für Werbeanzeigen, die nicht auf den Erinnerungsstrukturen der Menschen aufbauen und sogar die Art und Weise verändern, wie die Menschen die Marke sehen. Die Werbeanzeige mag während der Planung interessant oder lustig aussehen, aber die meisten Verbraucher schenken dieser nicht genug Aufmerksamkeit, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Wenn man sich also mit der aktuellen Corona-Krise befassen will, dann sollte man versuchen sich nicht zu sehr von den aktuellen Erinnerungsstrukturen zu entfernen. Pre-Tests sind entscheidend, besonders wenn ein wichtiges und aktuell relevantes Thema wie Corona verwendet werden soll.

Abbildung 5

SCHLUSSFOLGERUNGEN

Basierend auf dieser groß angelegten Studie über den Einfluss von Corona auf die Wahrnehmung und das Verhalten der Verbraucher sehen wir, dass die Verbraucher der Meinung sind, dass die Werbetreibenden ihre Werbung ändern und sich stärker mit der aktuellen Situation auseinandersetzen sollten. Die Corona-Krise führt zu mehr Online-Recherchen zu diesem Thema, und die Verbraucher sehen öfter und länger fern und verfolgen die Nachrichten auch online. Es gibt viele Experten, die ihre Meinung darüber teilen, was Werbetreibende in dieser Situation tun sollten. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, haben wir über hundert Werbungen auf drei verschiedenen Märkten getestet. Die Ergebnisse und Empfehlungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Werbungen, die in der Vergangenheit verwendet wurden und gut genug waren, um hervorzustechen (und dadurch eine Wirkung erzeugt haben), sind immer noch gut genug, um weiter zu laufen. Es gibt keinen Grund, diese Werbungen zu verändern. Gute Werbung bleibt gute Werbung, auch in einer Krise.
  2. Die aktuelle Corona-Situation erzeugt viel Aufmerksamkeit. Werbungen, die dies ansprechen, erhalten im Allgemeinen mehr Aufmerksamkeit, allerdings nur im Fernsehen und nicht im Internet. Diese Werbespots werden auch als relevanter angesehen und führen zu einem positiveren Eindruck von der Marke. Die Nutzung dieser Tatsache kann einer Marke sehr helfen, aber es sollte die aktuelle Situation im Auge behalten werden, da das Interesse mit der Zeit abnehmen wird.
  3. Die Wirkung von Corona-Werbungen für die Marke und die Botschaft unterscheidet sich nicht von normalen Werbungen. Diese Werbungen sind nicht in der Lage, die erhöhte Aufmerksamkeit und Relevanz positiv zu nutzen, indem mehr Wirkung erzeugt wird. Der Grund dafür ist, dass diese Werbungen oft nicht gut mit den bestehenden Erinnerungsstrukturen der Konsumenten verknüpft sind. Es besteht auch ein zusätzliches Risiko, welches sich bei der Untersuchung der Unterschiede zwischen den am besten und am schlechtesten funktionierenden Corona-Werbungen gezeigt hat. Wenn Sie die Corona-Situation nutzen, sollten Sie einen Weg finden, auf den bereits vorhandenen Erinnerungsstrukturen der Konsumenten aufzubauen. Wenn das nicht passiert, dann wird viel Geld verschwendet und es wird keinerlei Wirkung erzielt.

 

Update 20/04: Deutschland