Mario Prosoparis – Clinic & Job Dress

Veröffentlicht AM 21 07 2023

„Willkommen in der nach Erdöl schmutzigsten Branche, in der du überhaupt sein kannst.“ Als Mario Prosoparis als CEO des Berufsmodenherstellers Clinic und Job Dress (CJD) anfing, wurde er auf eine ziemlich ungewöhnliche Art und Weise begrüßt. In diesem Interview geht Mario offen auf alle aktuellen Herausforderungen ein, mit denen die Textilindustrie konfrontiert ist. Dabei geht es vor allem um die Herstellung nachhaltiger Kleidung, die Verlängerung der Produktlebensdauer sowie die ordnungsgemäße Entsorgung oder Wiederverwertung ausgedienter Produkte.

Mario leitet mit CJD ein Unternehmen, das auf modische Berufsbekleidung spezialisiert ist und auf einen mehr als 70 Jahre andauernden Erfahrungsschatz zurückblickt. Der norddeutsche Versender ist zugleich Designer, Hersteller sowie auch Händler. Im Medizinbereich vertreibt das Unternehmen seine Produkte unter der Marke CLINIC DRESS und zählt damit in Europa zu einer der größten Marken in diesem Segment. Im Bereich Gastronomie und Hotellerie tritt das Unternehmen unter der Marke PROFI DRESS auf. Als Gesamtunternehmen gehört die CJD zur THE COTTON GROUP, deren Mitglieder hauptsächlich im Marktsegment Berufsbekleidung und Merchandising aktiv sind. Jedes Jahr verschickt CJD mehrere Millionen Kleidungsstücke aus der niedersächsischen Zentale in Bramsche bei Osnabrück. Das Unternehmen ist mit über 120 Mitarbeitern in Deutschland und Frankreich, in den Niederlanden sowie in Österreich und der Schweiz aktiv. Zu Abnehmern zählen Großkunden wie Kliniken, Krankenhäuser oder auch Pflegeheime. Mittelgroße Kunden wie zum Beispiel Arztpraxen und Apotheken, aber auch Einzelkunden, die Berufsbekleidung für sich selbst einkaufen.

Mario musste laut seiner eigenen Schilderung bei der Begrüßung erst einmal echt schlucken, denn für die gesamte Fashionbranche ist Nachhaltigkeit in der Tat ein echtes Thema. „So haben wir uns diesem Thema angenommen, um unserer Verantwortung stärker gerecht zu werden“. Marios Kernerkenntnis:

Alles beginnt und endet mit einem guten Produkt!

„In Sachen Nachhaltigkeit unterscheiden wir bei CJD drei wesentliche Phasen für unsere Produkte: In der ersten dreht sich alles um Beschaffung und Herstellung. Es folgt die zweite Phase, in der das Produkt möglichst lange vom Kunden getragen werden soll. Zuletzt geht es darum, wie zerschlissene Kleidung wiederverwertet oder endgültig entsorgt werden kann.“

Schauen wir uns die erste Phase genauer an:

Es geht hier vorrangig um die Arbeitsbedingungen an der Produktionsstätte, die Nachhaltigkeit von zu beschaffender Rohware sowie um den Transport. Im Berufsleben müssen Gewebe deutlich höhere Ansprüche erfüllen als im Casual-Bereich, wo es weniger darauf ankommt, dass die Stoffe sich einerseits maximal belastbar und widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse verhalten sollen. Andererseits jedoch auch keine starre Ritterrüstung sein dürfen, weil die Nutzer sich viel bewegen, bücken und strecken müssen.

„Da stecken wir hinsichtlich des Materials in einem Dilemma.“, erklärt Mario. „Denn selbstverständlich könnten wir ausschließlich natürliche, kompostierbare Rohstoffe verwenden – was wir übrigens auch tun. Die werden von Kunden dann jedoch entweder häufig als zu starr, nicht ausreichend bei hohen Temperaturen hygienisch waschbar oder als nicht langlebig genug deklariert. Bio zertifizierte Baumwolle mag am Ende zwar kompostierbar sein, bei der Herstellung werden jedoch nach wie vor Unmengen an Wasser verbraucht und Chemie eingesetzt.

Polyester als ein aus Erdöl gewonnener Kunststoff mag zwar verrufen sein, weil es nicht verrottet. Gleichzeitig ist es genau dadurch eines der langlebigsten Materialien. Kaum kaputt zu kriegen, selbst bei hohen Waschtemperaturen oder Dauerbelastungen. Aus der Nachhaltigkeits-Perspektive betrachtet kann diese Langlebigkeit daher sogar ein wesentlicher Vorteil sein. Außerdem sind nahezu sämtliche Funktionen aus der Sportmode wie Elastizität oder Atmungsaktivität ohne Kunstfasern kaum denkbar. Daher werden am Ende häufig Materialmischungen eingesetzt, um das Beste aus allen Welten miteinander zu verbinden. Leider lassen sich diese aber später nicht mehr so einfach voneinander trennen.“ Eine Herausforderung, auf die wir in Phase drei noch einmal zurückkommen.

„Jedenfalls achten wir darauf, dass unsere Produktionsstandorte möglichst nah beieinander liegen und Transportwege dadurch kürzer werden. In der Herstellung sind wir – je nachdem, um welche Produkte es sich handelt – zwar über den Globus verteilt: von sehr nah in Europa bis zu Standorten in Fernost. Jeweils vor Ort befinden sich jedoch möglichst immer auch alle Beteiligten direkt nebeneinander, wie Webereien oder auch Nähereien. Anschließend kann das Kleidungsstück in einem Vorgang zu uns geliefert werden.“ Innerhalb dieser Beschaffungsabläufe ist Clinic & Job Dress inzwischen solide aufgestellt und bereits stark durchoptimiert. „Aber uns ist klar, dass wir das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht haben.“

CJD hat sich vorgenommen, weiter entwickelte Materialien konsequent auszuprobieren. „Es kommen ständig neue Lösungen auf den Markt, denen wir zu wirklicher Marktreife verhelfen können. Vor Kurzem habe ich mit Unternehmen gesprochen, die anstelle von Elasthan Naturkautschuk verwenden, um Gewebe strapazierfähig zu machen. Solche Lösungen stimmen mich positiv, selbst wenn sie aktuell für Berufsbekleidung noch nicht mit ausreichend hohen Waschtemperaturen funktionieren. Auch wählen wir unsere Dienstleister insgesamt immer stärker danach aus, wie gut diese in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs sind.“

Kommen wir zur zweiten Phase: Langlebigkeit

In der Textilbranche besteht in diesem Kontext eine enorme Themenspreizung. Als ein Extrem gibt es Fast Fashion und Ultra Fast Fashion Anbieter, die Produkte auf den Markt bringen, die für „einmal tragen und danach wegwerfen“ konzipiert sind. Die Berufsmode von Clinic Dress ist das genaue Gegenteil.

„Per Definition müssen unsere Produkte hohen hygienischen Ansprüchen genügen, Tragekomfort besitzen und gleichzeitig so beschaffen sein, dass sie auch nach der zig’sten Wäsche noch professionell aussehen.“

„Unsere Kunden verlassen sich darauf. Genau deswegen gilt es für uns, ein betriebswirtschaftliches Dilemma zu meistern: Da unsere Produkte so langlebig sind, werden sie weniger häufig nachgekauft. Dafür bleibt uns unsere Kundschaft extrem lange und sogar über Jahrzehnte hinweg treu.“

Seit der Gründung der Marke Clinic Dress vor über 70 Jahren hat CJD erfolgreich gelernt, immer länger haltbare Produkte herzustellen, die gleichzeitig superbequem sind und viele Funktionen erfüllen, selbst unter Extrembedingungen – was das Unternehmen seinen Käufern auch mit entsprechenden Zertifikaten oder Siegeln belegen kann. „Nicht wenige Produktfeatures haben wir in Projekten sogar gemeinsam mit unseren Kunden entwickelt“, erklärt Mario stolz. „Und daraus sind dann am Ende konkrete Outfits entstanden. Einige davon gehören zu unseren Bestsellern.“ Als weiteres Gütesiegel für die Leistungsfähigkeit seiner Produkte betrachtet Mario zudem volumenstarke Partner, die Berufsbekleidung von CJD als Leasing-Service anbieten, inklusive Industriewäsche und Trocknung. „Es kommt schlicht nicht von ungefähr, dass diese Abnehmer auf Produkte von uns setzen. Normale Kaufhausmode würde unter diesen Bedingungen jedenfalls schnell aufgeben!“

Mit Blick nach vorne hat CJD den Anspruch definiert, gerade in der zweiten Phase der Nutzung die Produkte noch länger nutzbar zu machen. „Schon heute nehmen wir beispielsweise ausgewählte Kleidungsstücke zurück und reparieren sie. Second Hand ist perspektivisch ebenfalls eine Option, auch wenn Kunden insbesondere in Deutschland noch sehr zurückhaltend auf solche Angebote reagieren. Internationale Hilfsprojekte nehmen diese B-Ware hingegen dankbar an. Erst kürzlich haben wir gemeinsam mit unseren Logistikpartnern ein ganzes Kinderkrankenhaus im Erdbebengebiet in der Türkei ausgestattet. Natürlich kostenlos.“

„Doch irgendwann erreicht jedes Produkt – egal was du machst – das Ende seiner Lebensdauer. Genau an diesem Punkt knabbern gerade sämtliche Unternehmen aus der Textilbranche. Was machst du jetzt, wenn deine Kleidung nicht zu 100% aus einer kompostierbaren Öko-Faser besteht?“, fragt Mario.

Damit sind wir bei der dritten Phase angelangt: der Entsorgung

„Die Herausforderung für uns als Branche besteht heute darin, jemanden zu finden, der Mischgewebe wieder auftrennen und zu neuen Stoffbahnen verarbeiten kann. Zwar gibt es am Markt dafür bereits erste Insellösungen. So richtig massenfähig ist diese Form von Recycling jedoch noch nicht. Auch kann man aus den Stoffresten nicht unbegrenzt neue Patchwork Bekleidung nähen oder Designerhandtaschen basteln, wie sie gerade in Mode sind. Weil es keinen ausreichend großen Markt für so viel Ausschuss gibt. Hier hilft nur: Hartnäckig dranbleiben, weitersuchen und sich vielleicht auch an Pilotprojekten beteiligen. In Gesprächen mit Vertretern einer Hochschule für Textil kam neulich sogar das Argument auf, es sei derzeit immer noch eine der besten Optionen, solche Mischprodukte in einer Verbrennungsanlage in Standortnähe zu vernichten. Dafür spricht, dass hierdurch zumindest Energie zurückgewonnen werden kann.“

„Vor allem, dass der Prozess komplett unter Kontrolle bleibt, damit entsorgtes Material nicht auf Umwegen als Stoffballen auf wilden Müllhalden irgendwo auf der Welt landet oder als Microplastik im Meer.“

Bleibt noch: Das Grundrauschen…

Auf der Parallelspur zu allen vorgenannten Initiativen geht Mario mit CJD weitere, nicht minder wichtige Schritte, abseits von den Produkten: „Wir sind vor Kurzem in ein komplett neues Gebäude umgezogen, welches energetisch auf neuestem Stand ist. Mit einer Solaranlage auf dem Dach, mit der wir uns selbst versorgen. Unser Betriebsgelände ist überall dort grün, wo es möglich ist, samt Bienenweide und Teich.“ Das Unternehmen stellt die Dienstwagen-Flotte sukzessive auf E-Fahrzeuge um und hat dafür Ladestationen auf dem Betriebsgelände installiert. Natürlich auch für die E-Bikes der Mitarbeiter, um emissionsfrei zur Arbeit zur kommen.

Die Post versendet Clinic & Job Dress weitestgehend klimaneutral und bei den Verpackungen experimentiert das Unternehmen mit unterschiedlichsten Materialien. „Letztens probierten wir sogar Gras als Basis aus“, so Mario. „Nur vom Katalog kommen wir nicht wirklich weg“. So gerne sich das Unternehmen mit einem aktuell schon hohen Onlineanteil von über 70% liebend gerne von mehr Papier verabschieden würde: „Wir können noch nicht komplett digital vorgehen“, bedauert Mario und erklärt. „Vor allem Großkunden oder Teams in Praxen schätzen weiterhin das gemeinsame Blättern durch unsere Kataloge. Somit beschränken wir uns weiterhin darauf, zumindest nachhaltiger produziertes Papier einzusetzen.“

Wie konzertiert man nun am besten dieses Vorgehen:

Mario ist weiterhin davon überzeugt, dass er innerhalb seines Unternehmens in seiner Rolle als Geschäftsführer mehr bewirken kann, als eine extra hierfür geschaffene CSR-Position es könnte. „In erster Linie bin ich innerhalb meines eigenen Einflussbereichs auch dafür zuständig, die gesamte Organisation für CSR-Themen zu sensibilisieren. Und zwar in allen Fachbereichen, vom Einkauf über Marketing und Vertrieb bis zu Finance. Ich kann übergreifend moderieren, anregen und fördern, wie wir gemeinsam noch besser werden. Wie gesagt: Alles beginnt und endet mit einem guten Produkt!

Andererseits sind wir Mitglied einer größeren Unternehmensgruppe. Und genau dort, auf Gruppenebene, haben wir eine spezielle CSR-Funktion installiert. Das macht viel mehr Sinn, um von einer größeren Perspektive zu profitieren. Nur so werden alle Produktionsstätten, auch von unseren Schwesterunternehmen innerhalb der Gruppe, die in vielen weiteren Ländern aktiv sind, in Audits auf gleiche Weise einbezogen. Und es tut gut zu wissen, dass für unsere Eigner bzw. Investoren Nachhaltigkeit ebenfalls eine wirklich wichtige Rolle spielt.

Hilfreich sind auch Beispiele innerhalb der Textilbranche: Patagonia ist natürlich in aller Munde, weil es sein Geschäftsmodell komplett umgekrempelt hat. Die Organisation verfolgt nicht mehr das Ziel, möglichst viel Profit zu erzielen, sondern sie will vorrangig zurückgeben. Sowas ist in der Tat eine richtungsweisende Inspirationsquelle. Dadurch finden wir einzelne Produktionsstufen oder auch Produkte, die in der Tat spannend sind und neue Perspektiven aufzeigen. Aber auch kleinere Unternehmen aus Deutschland, wie zum Beispiel Wildling Shoes, sind eine tolle Inspiration.

Uns als CJD pusht vor allem dieses Credo: Unseren Kunden geht es ums Helfen. Darum, Gutes zu tun. Wir wiederum können mit unserer Berufsmode Gutes tun für Menschen, die in ihrem Job Gutes tun! Diese Vorstellung spornt uns an, gemeinsam mit unseren Kunden einen wertvollen Beitrag zu leisten. Nachhaltiges Denken und Handeln ist da nur eine logische Konsequenz. Und wenn wir dann damit auch noch erfolgreich sind, gibt uns das ein gutes Gefühl.“ Mario fasst es so zusammen:

„Für mich ist eines klar: Ich will nicht dauerhaft in einer der schmutzigsten Branchen nach Erdöl arbeiten. Gemeinsam mit meinem Team arbeite ich jeden Tag ein Stück daran, dies zu ändern. Jeder kleine Schritt hilft.“